06.12.2022 ‐ Eventnachbericht

Wie kriegen wir den Fuß vom GAS-Pedal?

Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der ÖMV zeichnete beim Oberbank Energie-Forum im Donau-Forum die Entwicklung unserer Gas-Abhängigkeit nach und zeigte Wege zur Lösung der Krise.

Foto: Silvia Reitmaier

 

Anzeichen der Entspannung
Generaldirektor Franz Gasselsberger ortete angesichts der steigenden Energiepreise aktuell den Höhepunkt der negativen Stimmung. Er glaube aber, Licht am Horizont ausmachen zu können: „Unternehmen sehen die Krise als Chance und tätigen geplante Investitionen. Die Energiekrise fungiert auch als Treiber der Investitionen in erneuerbare Energien. Die Rohstoffpreise normalisieren und die Zinsen beruhigen sich. Außerdem ist das Kreditrisiko in der Oberbank sehr stabil.“


Es müsse aber Unterstützungsmaßnahmen für existenzgefährdete Betriebe geben. Viele stehen wegen enorm gestiegener Energiekosten, unterbrochener Lieferketten und gewerkschaftlicher Lohnforderungen enorm unter Druck. Vor allem können der Staat und die ArbeitgeberInnen nicht alle Preiserhöhungen für die Bevölkerung abfedern.


Drohendes Szenario für nächstes Jahr

Eine etwas andere Perspektive nahm Stefan Pierer, Präsident der Industriellenvereinigung OÖ, ein. Sei 2022 noch wirtschaftlich ein gutes Jahr gewesen, würden 2023 viele Energielieferverträge auslaufen. Mittelfristig sollten wir in Europa mit doppelten Energiekosten umgehen lernen. Für andere Weltregionen entwickeln sich gute Geschäfte, wie für Indien, das in der Lage ist, von Russland gekauftes Öl zu raffinieren und zu verteilen. Ein weiteres Problem sah Pierer im Arbeitskräftemangel. Insgesamt gab er sich aber zuversichtlich, die Herausforderungen seien zu bewältigen.

 

Verantwortung von Einzelnem und Gesellschaft

Susanne Dickstein, Chefredakteurin der OÖ Nachrichten, lenkte den Fokus auf die Situation von uns allen. Angesichts zusätzlicher Krisen wie ungebremster Migrantenzustrom und Klimawandel reagiere die überforderte Bevölkerung mit Resignation. Es fehle wahrscheinlich an Kampfgeist, weil sich allerorts eine Wellnesskultur bzw. eine Vollkasko-Mentalität breitgemacht habe. Dabei werde die Macht der kleinen Schritte unterschätzt — deshalb solle man sich an Karl Poppers Motto orientieren: „Es fängt bei jedem von uns an.“

 

Putin als Spinne im Erdgas-Netz

Gerhard Roiss, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der OMV, gab vorerst einen Überblick über das Geflecht von Pipelines in Europa, über die der Transport von Erdgas abgewickelt wird. Dabei spielte die1968 entstandene Erdgasdrehscheibe in Baumgarten für die Versorgung in Österreich und für Europa eine zentrale Rolle.
Als nächstes skizzierte der Referent, wie Wladimir Putin den Erdgassektor derart mächtig auf- und ausbauen konnte. Er verstaatlichte ihn und schaltete als Monopol jede Konkurrenz aus. Danach baute Russland konsequent die Gasmärkte in Europa auf und aus, indem es ausländische Konkurrenz wie etwa Aserbeidschan ausschaltete. Weiters setzte es professionelles Lobbying ein — man erinnere sich an den eifrigen Einsatz des deutschen Ex-Kanzlers Gerhard Schröder, der einen Vorstandsposten bei Gazprom innehatte.

 

Bedenkliche Entwicklung

Österreich geriet in eine hohe Abhängigkeit von russischem Erdgas im Umfang von 80 Prozent. Roiss habe in seiner Zeit als OMV-Vorsitzender versucht, mit PartnerInnen wie Norwegen oder Rumänien einen ausgewogeneren Mix der Importe zu erreichen, bei dem Russland nur mit 25 Prozent ins Gewicht gefallen wäre. Allerdings haben die Politik und sein Nachfolger in erster Linie auf langfristige Verträge mit Putin gesetzt.


Aktuell versuchen die Länder unseres Kontinents sich vom Würgegriff Russlands zu befreien und unter anderem auf Flüssiggas zu setzen. Daraus ergäben sich aber vor allem zwei Probleme: Zum einen bestehen die Lieferländer auf langfristige Verträge, was sehr teuer kommen könnte — vor allem dann, wenn es wieder ein Überangebot an günstigem russischen Erdgas gäbe. Das hält Roiss für sehr wahrscheinlich, weil Putin nicht auf den Absatz in Europa verzichten kann. Zum anderen stünden noch zu wenig LNG(Flüssiggas)-Terminals zur Verfügung.

 

Der Weg aus dem Dilemma

Wie müsste sich Österreich aufstellen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten? Der Vorschlag des ehemaligen OMV-Chefs: Eine Staatsagentur solle die Verkaufsagenden übernehmen, um die benötigten Liefermengen zu organisieren. Damit wäre ein Privatunternehmen überfordert. Wir könnten aus Norwegen, Rotterdam oder Italien Gas beziehen, so Roiss. Die Mengen wären problemlos zu bekommen, allerdings nur zu einem hohen Preis.


Der Energieexperte sah für Europa den verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien als dringlich an. Besonders für grünen Wasserstoff gelte es, in den kommenden 10 Jahren eine neue Energiearchitektur aufzubauen.   


Im abschließenden Talk mit Moderator Tarek Leitner, ZiB-Anchorman von ORF 2, schätzte Roiss ein, dass die Krise noch 2 bis 3 Jahre dauern werde. Eine Gefahr sei, dass insbesondere High-Tech-Betriebe die enormen Energiepreise nicht stemmen können und diese auch für die Privathaushalte sozial nicht verträglich seien. Vor allem dränge die Zeit, für den nächsten Winter müsse im Februar oder März 2023 eingekauft werden.