Eine glaubwürdige Zentralbank weniger?
Die Inflationsraten erreichen Rekordwerte. Der Zinserhöhungszyklus in den USA läuft auf Hochtouren, im Euroraum hat er noch gar nicht begonnen und in Tschechien wird er wahrscheinlich bald enden.
Die amerikanische Notenbank Federal Reserve hat in Reaktion auf die steigende Inflation ihren Leitzinssatz dieses Jahr schon zweimal erhöht: im März um 25 Basispunkte und im Mai um weitere 50 Punkte auf derzeit 0,75–1,00 %. Erwartet wird, dass im Juni die nächste Erhöhung um einen halben Prozentpunkt erfolgt. Per Jahresende ist in den USA ein Leitzinsniveau um 2,50 % möglich.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hingegen hält ihren Einlagenzinssatz seit 2019 unverändert bei minus 0,50 %. Eine erste Zinserhöhung (seit 2011!) scheint aus heutiger Sicht frühestens im Juli realistisch, nach dem Auslaufen des Anleihekaufprogramms. Bei einer Inflationsrate von 7,5 % im Euroraum (April 2022) lehnen immer noch einige EZB-Ratsmitglieder Zinserhöhungen mit dem Argument ab, dass eine straffere Geldpolitik das fragile Wirtschaftswachstum abschwächen könnte. „Zufällig“ handelt es sich dabei um Zentralbanker aus den stark verschuldeten südeuropäischen Ländern. Im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union steht: „Das vorrangige Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union…“ Als Preisstabilität strebt die EZB seit ihrer Strategieanpassung im Vorjahr ein symmetrisches Inflationsziel von +2 % an. Offensichtlich ist, dass die Preisstabilität im Euroraum beeinträchtigt ist und die EZB ihr vorrangiges Ziel nicht kompromisslos verfolgt.
Als Vorbild einer unabhängigen Geldpolitik in der EU sehen wir in den letzten Jahren die Tschechische Nationalbank (ČNB). Sie hat bereits im Juni 2021 mit Zinserhöhungen begonnen und seitdem den Leitzinssatz in acht Schritten auf derzeit 5,75 % angehoben, zuletzt am 5. Mai um 75 Basispunkte. Bei der Pressekonferenz sagte Gouverneur Jiří Rusnok, dass die Zentralbanker im zweiten Halbjahr ein negatives Wirtschaftswachstum erwarten, bei den Zinserhöhungen aber nicht nachlassen dürfen. Die Inflationsrate ist in Tschechien im April auf 14,2 % gestiegen. Das Inflationsziel der ČNB ist sehr ähnlich wie jenes der EZB definiert.
Um die Unabhängigkeit der Geldpolitik von der Regierung zu gewährleisten, werden im Unterschied zu vielen anderen parlamentarischen Demokratien die Ratsmitglieder der ČNB direkt durch den Staatspräsidenten ernannt. Von den sieben Ratsmitgliedern haben in den letzten Monaten lediglich zwei gegen eine weitere Straffung der Geldpolitik gestimmt.
Seit kurzem ist aber die Glaubwürdigkeit der ČNB in den Augen internationaler Finanzmarktteilnehmer ins Wanken geraten. Am 11. Mai ernannte Präsident Miloš Zeman mit Wirksamkeit 1. Juli Aleš Michl zum neuen Gouverneur. Michl ist eines jener zwei Ratsmitglieder, die weitere Zinserhöhungen ablehnen. Er gilt als kontroverser Analytiker und Verbündeter des ehemaligen Premierministers und derzeitigen Oppositionsführers Andrej Babiš. Der nicht weniger kontroverse Präsident Zeman könnte bis zum Ende seiner Amtszeit im März 2023 die Mehrheit des Zentralbankrates austauschen. Es wird nun ein weniger strikter geldpolitischer Kurs befürchtet. Die tschechische Krone, die sich mittlerweile von den Turbulenzen zu Beginn des Ukraine-Krieges erholt hatte, wertete im Zuge der Ernennung des neuen Zentralbankchefs gegenüber dem schwächelnden Euro um 4 % ab. Der EUR/CZK-Kurs stieg auf 25,50. Am folgenden Tag musste die ČNB am Devisenmarkt gegen die Abwertung der Krone intervenieren. Dadurch konnte der EUR/CZK-Kurs wieder um 3 % auf 24,75 gedrückt werden.
Die Ereignisse in Tschechien zeigen uns, wie wichtig die Glaubwürdigkeit von Zentralbanken ist. Wegen der ultra-lockeren Geldpolitik der EZB ist der Euro seit 2014 gegenüber dem US-Dollar chronisch unterbewertet (nach Kaufkraftparität). Zum Kursrutsch von EUR/USD auf 1,0350 in den letzten Tagen haben nicht nur der Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Gefahren einer Energiekrise und Rezession in der EU beigetragen, sondern auch die (nicht mehr vertretbare) abwartende Haltung der EZB in Zeiten einer Rekordinflation. Da die Einstellung der Finanzmärkte gegenüber der EZB als skeptisch gilt, dürften die Risiken der Geldpolitik in den Euro-Wechselkursen schon vollständig eingepreist sein. Wir glauben, dass sich der Euro im zweiten Halbjahr langsam erholen wird, auch wenn die EZB die Geldpolitik viel zögerlicher straffen wird als die Fed.
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