Blue Buildings: Die Rolle der Zertifizierung von nachhaltigen Gebäuden

Das Thema Nachhaltigkeit ist auch aus der Immobilienwirtschaft nicht mehr wegzudenken. Auf Unternehmen kommt nicht nur schrittweise eine ESG-Reporting-Pflicht zu (ESG steht für Environment, Social, Governance), sondern die ernsthafte Auseinandersetzung damit wie Wirtschaften klimaschonend und gerecht gestaltet werden kann, wird künftig den Erfolg und Wert eines Unternehmens bestimmen.

 

Nachhaltig zu bauen, wird nicht nur von der Politik verlangt, die die regulatorischen Rahmenbedingungen vorgibt, sondern die Kund:innen und Investor:innen suchen nachhaltige Immobilien und Investments und nicht zuletzt gestalten die Banken ihre Kreditvergaberichtlinien ESG-konform. Zur Einstufung eines Kredites als „nachhaltig“ sind entsprechende Nachweise zu erbringen, wobei der Energieausweis künftig nicht mehr ausreicht. Bei größeren Projekten ist es jetzt schon state-of-the-art, dass Gebäudezertifikate vorgelegt werden. Die wichtigsten Fragen zu diesem Thema beantwortet Dr. Andreas Köttl, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI) und Vorstand der value one holding AG.

 

Gebäude-Modell

 

Welche Vorteile bringt ein Gebäudezertifikat?

Egal ob Sanierung oder Neubau, mit dem Audit, das das Vorhaben der Zertifizierung begleitet, schafft der/die Bauherr:in einen klaren Fahrplan, wie Nachhaltigkeit im gesamten Projekt verankert wird, generiert die Daten, die zum Beweis notwendig sind und monitort die Kennzahlen, um z.B. die EU-Taxonomie-Vorgaben zu erfüllen. Ein ÖGNI-Zertifikat ist ein international anerkanntes Gutachten, das Investor:innen, Banken, Wirtschaftsprüfer:innen und Bewerter:innen die notwendigen Beweise für die Wertigkeit eines Immobilienprojekts liefert.

 

Ab welcher Immobilien-/Projektgröße zahlt sich eine Zertifizierung aus?

Wir gehen von einem Investitionsvolumen von drei bis fünf Millionen Euro aus. Darunter zahlt sich die Zertifizierung wirtschaftlich nicht aus. Es gibt aber auch Enthusiast:innen, die kleinere Projekte zertifizieren lassen.

 

Wie verläuft der Zertifizierungsprozess?

Zuerst sucht sich der/die Zertifizierungswerber:in eine/n Auditor:in aus den mehr als 100 akkreditierten ÖGNI-Auditor:innen aus, das Team der ÖGNI hilft dabei gerne. Der/die Auditor:in begleitet das Projekt idealerweise ab der Planung, berät den Bauherrn/die Bauherrin und kontrolliert die tatsächliche Ausführung. Nach Abschluss der Planung wird ein Vorzertifikat erstellt (as planned), mit dem Finanzierungen abgeschlossen, Investorenverhandlungen geführt oder Mietverträge abgeschlossen werden können. Nach Baufertigstellung wird dann das Endzertifikat ausgestellt (as built).
Die vom Auditor/von der Auditorin erhobenen Daten werden sowohl für das Vorzertifikat als auch das Endzertifikat von der ÖGNI in einem zwei-stufigen Verfahren im Vier-Augen-Prinzip überprüft (Konformitätsprüfung). Erst wenn die Qualität vollständig überprüft ist, wird das Zertifikat als Gutachten ausgestellt.

 

Welche Kriterien spielen bei der Bewertung eine besondere Rolle?

Bei der ÖGNI werden mit dem DGNB-System alle drei Säulen der Nachhaltigkeit gleich bewertet. Es geht um die Baustoffe, Energieproduktion und -verbrauch, Kreislaufwirtschaft, Infrastruktur, Lebenszykluskosten, Öko-Bilanz, Barrierefreiheit, Raumklima, Schallbelastung und vieles mehr. Je nach Nutzungsart des Gebäudes gibt es unterschiedlich Schwerpunkte in ca. 70 verschiedenen Kategorien. Da wir Gebäude für Menschen bauen, die darin wohnen, arbeiten und ihre Freizeit verbringen, ist der ÖGNI die soziale Nachhaltigkeit besonders wichtig. Für Projekte, die mehr als 80 Prozent der sozialen Kriterien erfüllen, kann der ÖGNI-Kristall zusätzlich zur Zertifizierung beantragt werden.

 

Wie kommt man zu einer ÖGNI Zertifizierung? Welche Anbieter:innen gibt es dafür?

Es gibt mehr als 100 ÖGNI-Auditor:innen in ganz Österreich, die zur Verfügung stehen. Um die/den Richtigen zu finden, unterstützt die ÖGNI gerne.

 

Mit welchen Kosten ist zu rechnen?

Das hängt vom Projekt und von der Zusammenarbeit zwischen Zertifikatswerber:in und Auditor:in ab. Je besser die Datenlage, je einfacher die Bauverhandlungen, je klarer die Baustellenorganisation, umso günstiger wird die Dienstleistung des Auditors/der Auditorin. Die Kosten des Auditors/der Auditorin sind direkt zu verhandeln.
Die Kosten der ÖGNI finden sich transparent auf der ÖGNI-Website

 

Wie lange ist ein Gebäudezertifikat gültig? Gibt es eine regelmäßige Überprüfung?

Ein Neubauzertifikat gilt bis zur ersten, gravierenden baulichen oder technischen Veränderung des Gebäudes. Ein Zertifikat für „Gebäude in Betrieb“, das vor allem für Sanierungsmaßnahmen verwendet wird, gilt drei Jahre und soll damit die Sanierungsphase eines Projekts begleiten. Ein Gutachten zur EU-Taxonomie gilt jeweils für ein Jahr.

Was passiert bei gesetzlichen Änderungen? (z.B. Änderung der Rahmenwerte)

 

Das Zertifizierungssystem wird im europäischen Konsens der DGNB-Länder ständig weiterentwickelt und ist etwaigen gesetzlichen Vorschriften weit voraus. Eine Herausforderung war zuletzt die Verordnungen zur EU-Taxonomie. Nicht als Thema, denn die Kriterien der EU-Taxonomie waren im System schon lange abgebildet. Die Bewertung der EU-Taxonomie unterscheidet allerdings nur in „erreicht“ oder „nicht erreicht“, im DGNB-System kann hingegen mit anderen nachhaltigen Maßnahmen ausgeglichen werden. Hier mussten rasch Anpassungen des Systems vorgenommen werden. Bei einer ÖGNI-Zertifizierung bietet die ÖGNI auch die Überprüfung (der Anforderungen) der EU-Taxonomie an.

 

Wie unterscheidet sich ÖGNI von anderen Gebäudezertifikaten? (national und international)

Die nur in Österreich verwendete klimaaktiv-Plakette ist weder ein Zertifikat noch ein Gutachten, ist kostengünstig und eignet sich daher für Einfamilienhäuser sehr gut. Für größere Projekte ist sie mit der ausschließlichen Orientierung auf Klimaschutz aber ungeeignet. In vielen europäischen Ländern existieren nationale Zertifikate und Plaketten, die aber international keine Relevanz haben. International gibt es neben dem von der ÖGNI mitentwickelt und verwendeten DGNB-System das System LEED (USA) und BREEAM (GB), alle drei Systeme sind weltweit anerkannt.

 

In welchen Ländern können Immobilien zertifiziert werden?

Die ÖGNI passt vor Markteintritt der jeweiligen Zertifizierungsversion das europäische System auf die österreichischen Verhältnisse und gesetzlichen Vorgaben an. Werden Zertifizierungen von Projekten außerhalb Österreichs gewünscht, gibt es eine internationale Variante, die dabei Anwendung findet. Die ÖGNI hat damit bis Japan Projekte zertifiziert. In Europa verfügt die ÖGNI über Schwestergesellschaften in Dänemark, Deutschland, Schweiz, Kroatien und Spanien. Gemeinsam mit diesen Schwestern wird das europäische System ständig weiterentwickelt. Um bei der Taxonomie eine gestalterische Rolle einzunehmen, ist die ÖGNI bei der in Brüssel ansässigen CPEA (Climate Positive Europe Alliance) mitbeteiligt. Darüber hinaus ist die ÖGNI der österreichische Vertreter im World Green Building Council (Sitz in Kanada) und stellt den Vizepräsidenten im European Regional Network des World GBC.

 

Diese Unterlagen dienen lediglich der aktuellen Information und basieren auf dem Wissensstand der mit der Erstellung betrauten Personen zum Erstellungszeitpunkt. Diese Unterlagen sind weder Angebot noch Aufforderung zum Kauf oder Verkauf der hier erwähnten Veranlagungen bzw. (Bank-)Produkte. Sämtliche in diesem Dokument enthaltenen Aussagen sind nicht als generelle Empfehlung zu werten. Obwohl wir die von uns beanspruchten Quellen als verlässlich einschätzen, übernehmen wir für die Vollständigkeit und Richtigkeit der hier wiedergegebenen Informationen keine Haftung. Insbesondere behalten wir uns einen Irrtum in Bezug auf Zahlenangaben ausdrücklich vor.

 

Das Gespräch wurde am 27.07.2023 geführt.

Fotoquelle: Shutterstock

 

 

Dr. Andreas Köttl, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI) und Vorstand der value one holding AG

Fotoquelle: value one
 

Dr. Andreas Köttl

Präsident der ÖGNI

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